Wer prägt wen?

# 27
„Wer ängstlich und verzagt ist, der kehre um.“Ri. 7, 3LUT

Gideon steht unmittelbar vor der Schlacht gegen Midian. Nach langem hin und her hat er endlich selbst Mut und Glauben gefunden und er versammelt die wehrfähigen Männer aus der Gemeinde Gottes. Und nun lesen wir diese ungewöhnliche Begebenheit, dass Gott die Anzahl der gekommenen Israeliten reduziert. Warum tut er das? Müssten wir nicht froh und dankbar über jede helfende Hand sein? Der uns vorliegende Text beschreibt, wie so oft in der Bibel, nur die Szene und gibt uns weder eine klare moralische Wertung noch die eindeutige Übertragung auf unser Leben vor. Für mich hat diese Begebenheit dennoch einige bemerkenswerte Weisheiten parat.

1. Die Mehrheit ist Furchtsam.

Nach Gideons Einladung kommen zunächst 32.000 Leute. Nach seiner zweiten Ansprache, „es gibt die Möglichkeit für jeden der verzagt ist, wieder nach Hause zu gehen“, kehrten tatsächlich zweidrittel der Leute um. Das ist ein erschreckender Wert. Zwei von drei. Gibt uns das wirklich ein realistisches Bild von uns Gläubigen? Sind es wirklich so viele, vielleicht sogar ich selbst, denen der Mut fehlt und die Verzagtheit in sich tragen?

Ich denke wir sollten mit dieser Szene sehr ernsthaft umgehen. Die Anzahl der Menschen alleine ist noch kein Indiz. Äußerlichkeit kann blenden. Denn selbst zum Gebet sitzenzubleiben, wenn alle aufstehen, erfordert Mut. Nicht jeder, der sich für Gottes Werk meldet, ist wirklich bereit den Preis zu bezahlen. Und selbst wenn wir bereit sind, bedeutet das nicht zwangsweise, dass wir nicht Furcht und Verzagtheit in uns tragen. 

Das alleine, so verstehe ich den Text, ist zunächst noch nicht verwerflich, sondern einfach nur eine Feststellung. Jesus ermutigt uns ganz sachlich dazu, die Kosten des Glaubens zu überschlagen. Das klingt erst einmal wertfrei und ohne erhobenem Zeigefinger (Luk. 14, 28). Und zwar mit offenem Ergebnis. 

Aber Jesus fordert uns auch auf, nicht in der Furchtsamkeit zu bleiben. Sein Gespräch mit Petrus war doch eher so: „Ich weiß, dass du furchtsam sein wirst. Du wirst dich vom Acker machen. Aber wenn du dich wieder zum Mut bekehrst, dann ermutige auch den Glauben deiner Geschwister“ (Luk. 22, 32)

Mutlosigkeit und Furchtsamkeit unter Gläubigen ist eine nicht zu unterschätzende Realität. Deshalb müssen wir auf die Ermutigung der Gläubigen einen großen Wert legen. Denn „keiner lasse seinen Mut sinken“ (1. Sam. 17, 32).

2. Umkehren in die zweite Reihe ist keine Schande.

Das liest sich eher angriffig gegen die furchtsamen Zweidrittel. Aber die, die noch nicht bereit waren, alles zu geben, denen der Mut und der Glaube noch fehlten, wurden nicht aus dem Volk gewiesen. Sie sollten die anderen nur nicht behindern, nicht im Weg stehen. Das klingt wenig, aber das „Nichtimwegstehen“ gehört bei vielen schon zu einer großen Demutsleistung. Denkt an Eliab: Nicht selbst kämpfen wollen, aber David diskreditieren und entmutigen (1. Sam. 17, 28). 

Lesen wir noch Vers 23. Da sind sie alle wieder. Gideon ruft sie, als es Zeit war sie miteinzubeziehen. Ohne Häme und ohne Vorwurf – so ist die Gemeinde Gottes auch.

Und ein letzter Trost: Im 5. Buch Mose widmet Gott diese Chance der „Umkehr wegen Verzagtheit“ sogar ein Gesetz (5. Mose 20, 8). Es lohnt sich diesen Abschnitt dort ganz zu lesen (5. Mose 20, 3-9). Ist das nicht tröstlich, dass Gott das in seiner Gemeinde mit einkalkuliert?

3. Unterschätze nicht die Prägekraft der Verzagten.

Aber dennoch gibt diese Geschichte uns auch eben diese Wahrheit preis: Lieber mit wenigen Richtigen, als mit vielen, bei denen die Mehrheit verzagt ist. Warum? Weil nicht nur die Mutigen prägen. Häufig besitzen die „Zweidrittel-Verzagten“ eine Prägekraft, die 

  • alles zum Erliegen bringt, 
  • das Volk verwirrt,
  • die Unzufriedenheit fördert, 
  • die Ziele und Werte Gottes vor den Augen verschwimmen lassen.

Wie viele gute Taten werden verhindert, weil diese Gruppe dabei ist und zu viele Redanteile hat? Oft nicht mit dem Mikro aber durch die vielen kleinen Gespräche. Und wir fragen uns, warum sind so viele entmutigt? Sie können jede Mitarbeitergruppe in den Unmut und die Verzagtheit bringen. Deshalb auch der oben zitierte Mosetext: „Damit deren Feigheit nicht auf alle wirkt“.

Jesus musste das selbst erleben. Die Nachfolger und bisherigen Fans „murrten miteinander“. Mit fatalen Folgen (Joh. 6, 60-66).