1. Menschenwort oder Gotteswort? Eine Entscheidung ist fällig.

# 38
„Du aber bleibe bei dem, was du gerlernt hast und was dir anvertraut ist; du weißt ja, von wem du gelernt hast und dass du von Kind auf die heilige Schriften kennst, die dich unterweisen können zur Seligkeit durch den Glauben an Christus Jesus. Denn alle Schrift, von Gott eingegeben ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei zu allem guten Werk.“2. Tim. 3, 14-17LUT

Das mit Abstand größte Problem bei dem Verstehen der Texte der Bibel ist der Leser selbst. Jeder, der die Bibel in die Hand nimmt, steht vor der gleichen wichtigen Frage: 

„Was habe ich hier in den Händen?“ 

Und von der Beantwortung dieser Frage hängt es ab, was der Bibeltext mit mir macht oder machen darf?

Jeder Leser, ob Hausfrau, Straßenbahnfahrer oder Ingenieur, jeder Theologe, der „Gute wie der Böse“, jeder Wissenschaftler, wird früher oder später eine Entscheidung für sich treffen: „Welche Art von Buch habe ich hier in den Händen?“ 

Wir alle haben eine der folgenden Grundhaltungen:

  1. Es gibt keinen Gott. - Die Bibel ist demnach eine Erfindung von Menschen.
  2. Vielleicht könnte es einen Gott geben. - Aber ob er sich in der Bibel mitteilt ist fraglich
  3. Wahrscheinlich gibt es einen Gott. - Dann könnte die Bibel eine Botschaft an uns sein.
  4. Ja, es wird wohl Gott geben. - Die Bibel ist aber eher von Gläubigen geschrieben und somit ungenau, nicht ganz zuverlässig und von den Meinungen der Autoren durchsetzt.
  5. Gott lebt. - Die Bibel ist seine Mitteilung an die Menschen. Er ist der Initiator und Überwacher dieser Mitteilung.

Egal wer über die Bibel schreibt oder redet, sie alle haben eine dieser Grundüberzeugungen. Entweder sie sind überzeugte Atheisten (Version 1), also jemand, der nicht an die Existenz irgendeines „höheren Wesens“ glaubt. Dann folglich kann es auch keine Mitteilung von ihm geben. Oder sie sind das Gegenteil, überzeugte Christen (Version 5), und glauben, dass dieser Gott sich in der Bibel mitgeteilt hat. Und als guter, allwissender Gott hat er darauf geachtet, dass die Menschen keine Fehlinformationen bekommen.

Neben diesen beiden Extremen, finden wir zahlreiche Zwischenüberzeugungen. So gibt es zahlreiche Theologen, die zwar an einen Gott glauben, aber nicht an die Zuverlässigkeit seiner Informationsschrift. (Dies dürfte in Deutschland die größte theologische Richtung sein.)

Aber nicht nur die Theologen, eben jeder, der die Bibel liest, Beginner oder Fortgeschrittene, sie alle tauchen irgendwo in diesem Schema auf

Warum erwähne ich das? 

Das die Grundüberzeugung von enormer Bedeutung ist, lässt sich leicht an einigen Beispielen nachweisen. Markus berichtet, dass Jesus eines Tages aus Jericho herausgeht und von einem Blinden mit Namen Bartimäus laut angeschrien wird: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner“. Jesus lässt ihn zu sich führen und nach einem kurzen Gespräch heilt er ihn und macht ihn wieder sehend (Mt. 10, 46-52). Lesen wir die Evangelien mit der wissenschaftlichen Grundannahme es gibt keinen Gott, ergo kann es auch keine Wunder geben, dann können diese Berichte doch nur erfunden sein. Entweder von Markus oder von denen, von denen er die Geschichte gehört hat. 

Wir müssen uns im Klaren sein, dass diese Berichte weder historisch bewiesen sind, noch wahrscheinlich jemals historisch zu beweisen wären. Wie sollte dieser Beweis auch aussehen? Filmaufnahmen gab es nicht. Und sollte jemals in irgendeiner Höhle eine spätere Tagebuchaufzeichnung oder Predigt von diesem Bartimäus unterschrieben gefunden werden, wer würde diesem Textzeugnis schon glauben? Bartimäus wurde doch ein Sympathisant dieser neuen Religion. Und überhaupt, wäre diese Aufzeichnung ein Beweis, der die Wissenschaft oder diejenigen mit der Grundeinstellung 1) überzeugen würden? 

Und so legen die Bibelkritischen diese Geschichte so aus, als wäre hier kein Wunder geschehen und man muss diese Geschichte als Gleichnis auf uns wirken lassen und daraus Trost finden (siehe dazu Googlesuche „Textkritik zu Bartimäus“).  Die Gläubigen zu 5 dagegen loben Gott, dass Jesus die Macht zu heilen und zu verändern hat. Sie nehmen den Text als Botschaft auch an uns:

  • So ruft Jesus auch dich ganz persönlich.
  • Bleibe nicht blind. Jesus macht dich sehend.
  • Jesus kann auch dich gesund machen.
  • Lass dich von niemanden aufhalten zu Jesus zu kommen.
  • Schrei so laut du kannst.
  • Was soll Jesus wirklich für dich tun?

Der Text steht für alle gleich da. Aber jeder legt ihn gemäß seiner Grundüberzeugung aus. 

Halten wir fest: 
Es gibt für die meisten biblischen Berichte weder einen Beweis „für“ noch einen Beweis gegen die wahrheitsgemäße historische Überlieferung.

Manchmal erwecken einige Theologen den Eindruck als seien ihre Überlegungen von dieser Grundannahme unabhängig und neutral; eben „wissenschaftlich“. Dies ist aber in den meisten Fällen kaum aufrechtzuerhalten. 

Ein schönes Beispiel dafür, dass nicht immer tiefgründige Überlegungen oder gar historische oder archäologische Beweise Grund für Schlussfolgerungen sind, sondern viel mehr die Grundüberzeugung über den Charakter der Bibel und die Existenz Gottes, ist die Diskussion über das Abfassungsdatum der Evangelien.

Folgender Text ist das Problem:

Und als einige von dem Tempel sagten, dass er mit schönen Steinen und Weihegaben geschmückt sei, sprach er: Es wird die Zeit kommen, in der von dem allen, was ihr seht, nicht ein Stein auf dem andern gelassen wird, der nicht zerbrochen werde. (Lk. 21 5-6 Lu17)

Kann es sein, dass Jesus den Untergang des Tempels vorhergesagt hat? 

Hat man die Grundentscheidung „es gibt keinen Gott“, oder die Bibel ist vor allem „ein Menschenwerk“ getroffen, dann ist folgende Antwort logisch: Natürlich hat Jesus den Untergang nicht vorhergesehen. Wie sollte er auch? Kein Gott = keine Wunder. Kein Gott = Keine prophetischen Aussagen! Kein Gott = Kein Wort Gottes. 

Und dann sind die nächsten Schlussfolgerungen nur logisch: Lukas, Matthäus und Markus legten diese Vorhersage Jesus nachträglich in den Mund. Und das konnte eben erst frühestens nach der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n. Chr. durch die römische Armee unter Titus geschehen; also können diese Schriften auch erst nach 70 n. Chr. geschrieben worden sein. 

Auf diese Art von Beweisketten treffen wir überall in der theologischen Literatur. Die Verlässlichkeit der Bibel wird bombardiert und in Frage gestellt. Und alles beginnt mit der Grundentscheidung „was habe ich hier in den Händen?“ Das am meisten genutzte Nachschlagewerk „Wikipedia“ gibt dafür ein paar Beispiele:

"Das Lukas-Evangelium entstand nach Auffassung der Mehrzahl der historisch-kritisch arbeitenden Neutestamentler in der Zeit zwischen etwa 80 und 90 n.Chr. Dabei wird für die untere Grenze dieses Zeitraums davon ausgegangen, dass der Verfasser auf die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 bereits zurückblickt. Für das Ende dieses Zeitraums sind die Annahmen weit unsicherer: Das Verhältnis von Kirche und Staat erscheint dem Evangelisten unproblematisch. Demnach dürfte ihm die Christenverfolgung unter Domitian (röm. Kaiser 81-96 n.Chr.) noch nicht bekannt gewesen sein. Lukas blickt auch wahrscheinlich auf den Tod des Paulus zurück und kennt wohl die Sammlung der Paulusbriefe nicht, die etwa um 100 n. Chr. Verbreitung fand.[2] Eine sichere obere Grenze bildet die Didache, die sich in 1,4 auf die lukanische Feldrede (Lk 6,27-30) bezieht.[3] Die Entstehung der Didache wird jedoch auch nur in einem Zeitraum zwischen ca. 100 und 150 vermutet.Demgegenüber datiert eine Minderheit von Forschern das Evangelium auf ungefähr 60 n.Chr., also vor der Zerstörung des Tempels in Jerusalem.[4] Schon Adolf von Harnack hatte diese Ansicht vertreten.[5] Danach würden die Zerstörungsweissagungen Jesu mit den Geschehnissen um 70 n. Chr. keinesfalls so genau übereinstimmen, wie das zu erwarten wäre, wenn der Autor Jesus diese Worte nach den Geschehnissen in den Mund gelegt hätte. Außerdem würden mehrere Indizien nahelegen, dass der Großteil der Arbeit am Doppelwerk (Lukasevangelium und Apostelgeschichte) während der Gefangenschaft des Paulus in Caesarea geleistet wurde, also um 60 n.Chr.[6] Insbesondere die Ermordung von Jakobusim Jahre 62 sowie von Petrus und Paulus im Zuge der neronischen Christenverfolgung etwa 64-67 n.Chr. werden in der Apostelgeschichte nicht berichtet. Während der Märtyrertod des eher weniger bekannten Stephanus ausführlich geschildert wird, schweigt die Apostelgeschichte ohne jeden Grund über den Tod der drei wichtigsten Persönlichkeiten der Urgemeinde. Dies ist für manche Theologen ein Hinweis, dass die Apostelgeschichte vor diesen Ereignissen, also etwa 62 n. Chr. verfasst wurde. Das Lukasevangelium als erster Teil des lukanischen Doppelwerkes müsse also vor diesem Zeitpunkt entstanden sein. Aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Evangelium_nach_Lukas"

Diese Schlussfolgerungen der späten Datierung, die nicht etwa aus archäologischen Funden gespeist werden, basieren weitgehend auf den Texten des Neuen Testamentes und der Unmöglichkeit der Vorhersage der Tempelzerstörung. Und dass, obwohl die Argumente für eine frühere Datierung (siehe den eben zitierten Wikipediaartikel) viel naheliegender sind. Und dann kommt der Clou von Herrn Harnack: Er kommt an diesen Argumenten nicht vorbei – aber dann, weil Vorhersage ja ausgeschlossen wird, muss Jesu Wort anders interpretiert werden, als dass sie die Zerstörung des Tempels in 70 n.Chr. meinen. Noch Zweifel an meiner anfangs getroffenen These?

Sollte es aber einen allwissenden und allmächtigen Gott geben, und in Jesus Christus kommt er als deutlichste Botschaft an seine geliebten Geschöpfe auf diese Welt (Glaubensversion 5), wie kann dann das Wirken von Wundern, Heilungen oder Vorhersagen von geschichtlichen Ereignissen ein Problem sein?

Wir müssen deutlich erkennen, dass eben die Grundhaltung, ob Gott lebt und ob Gott sich klar mitteilt, entscheidende Quelle und Motivation für die Beurteilung der Schriften ist; nicht etwa Tatsachen. Was nicht sein kann, kann eben nicht sein.

Halten wir fest:
Nehmen wir die Existenz eines lebenden und sich mitteilenden Gottes als Möglichkeit an, dann werden auf einmal alle diese Texte genau so logisch wie sie für die „Version-1-Gläubigen“ unlogisch sind.

Es kommt eben auf die Grundentscheidung an. Ein letztes Beispiel, dass es nicht ein Kampf der Fakten, sondern des Glaubens ist, wie mit der Schrift umgegangen wird, fasst ein weiterer Artikel in Wikipedia über das Matthäusevangelium zusammen:

"Es gibt wenig Hinweise zur Datierung. Die frühen Kirchenväter (z.B. Eusebius, Irenäus und Origenes) sahen im Matthäusevangelium ein früh entstandenes Evangelium. Die theologische Diskussion der Neuzeit darüber dreht sich unter anderem um zwei Grundsatzfragen:Konnte Jesus etwa im Jahr 30 die Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 prophezeien bzw. konnte der Autor, noch bevor die Zerstörung stattfand, diese Aussage Jesus zuschreiben?Konnte Jesus die Entstehung einer Kirche voraussehen?Die meisten Autoren beantworten diese Fragen entweder beide mit Nein oder beide mit Ja. Bei einem Ja ist die Datierung nach wissenschaftlicher Mehrheitsmeinung zwischen 60 und 80, bei einem Nein zwischen 80 und 100 anzusiedeln. Im Rahmen der Zwei-Quellen-Theorie ist das Markusevangelium auf etwa 70 zu datieren und das Matthäus-Evangelium später anzusetzen.Das Matthäusevangelium wird bereits im frühen 2. Jahrhundert durch Ignatius von Antiochia zitiert. Zitate aus dem Matthäusevangelium sind bei den Kirchenvätern häufiger als Zitate aus anderen Evangelien. Die Kanonizität des Matthäusevangeliums und dessen Urheberschaft wurde in der Alten Kirche nie angezweifelt.Aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Evangelium_nach_Matthäus"

Wenn bestimmte Wissenschaftler und Theologen nicht mit der Möglichkeit einer göttlichen prophetischen Begabung von Jesus rechnen, dann können sie verständlicherweise zu keiner anderen Beurteilung kommen, als dass diese Textpassage gar nicht von Jesus gesagt worden sein kann. 

Ist es nicht interessant, dass ausgerechnet der biblische Text von der Zerstörung des Tempels das wichtigste Indiz ist gegen einen verlässlichen Augenzeugenbericht und für eine späte Verfassung der Evangelien? (Natürlich ist man so vehement, weil je später die Verfassung von dem ursprünglichen Ereignis ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass man hier verlässliche Worte und Handlungen von Jesus überliefert bekommen hat.)

Viel mehr hat man nicht. Keine weiteren griffigen Indizien. Bei der Aktenlage würde jeder Angeklagte freigesprochen werden.

Halten wir fest:
Nicht die wissenschaftlichen Erkenntnisse bringen uns in den meisten Fällen zu einer kritischen Betrachtung der Bibeltexte, sondern die Grundüberzeugung; eben „der Glaube“.

Menschenwort oder Gotteswort? Es ist kaum möglich unvoreingenommen die Bibel zu lesen und zu beurteilen. Es steht eben zu viel auf dem Spiel. Denn am Ende steht der Anspruch dieses Gottes an den Menschen (auch an den Theologen): „Folge mir nach“; „wirf alle Sorgen auf mich, ich sorge für dich“; „der Sünde Lohn ist der Tod“.

Früher oder später werden wir als Bibelleser hier eine innere Entscheidung treffen. Von dieser Entscheidung wird alles andere abhängen. Von dieser Entscheidung wird auch abhängen, was der biblische Text mit mir machen darf; welche Bedeutung er für meine tagtäglichen Entscheidungen hat; welche tröstende und korrigierende Kraft das Wort Gottes für mein Leben hat.

Lassen wir uns nicht von Kritikern irritieren und unseren Glauben rauben. Sie haben nicht bessere oder wissenschaftlichere Argumente - sie haben eine andere Überzeugung.

Und genau deshalb glaube ich der Bibel mehr als den Kritikern.